VON SCHLANGEN UND ÄPFELN
Auch wenn er mittlerweile zum kleinen Beschwerde-Einmaleins gehört und deshalb nicht mehr besonders einfallsreich anmutet, muss ich ihn trotzdem jetzt unbedingt loswerden: meinen ganz persönlichen Supermarktschlangen-Shitstorm.

Äpfel und Schlangen waren schon immer eine unheilvolle Kombination, denn sie küssen im Menschen offenbar die niedersten Instinkte wach. Recht weit vorne auf der Liste: Neid. Etwas, das heutzutage an jeder Supermarktkasse gang und gebe ist, ist der Fließband-Neid.

Ein Fließband weist ja, wenn man es genau nimmt, eine unendliche Fläche auf. Doch das ist natürlich noch lange kein Grund, seinem Vordermann auch nur einen Zentimeter mehr davon zu gönnen, als er für das Auftürmen seiner Waren unbedingt benötigt. Die Waffe des Fließbandneiders ist dabei der sogenannte „Warentrennstab“. Er wird benutzt um – ähnlich der Funktionsweise einer Schrottpresse – die Einkäufe der Vorderleute von unnötigen Luftzwischenräumen zu befreien.
Allerdings ist es eher selten, dass jemand mit seinem Neid so offensiv umgeht. Viel häufiger wird er heruntergeschluckt und auf subtilere Weise versucht, seinen Mitmenschen Dampf zu machen. Gelegentlich beobachtet man Leute, die den gesamten Inhalt ihres Einkaufswagens auf einer Fläche von 10x20 Zentimetern stapeln, während die drei Duplos des Vordermannes den Rest des Fließbandes für sich beanspruchen. Ein wackelnder Droh-Turm aus Gemüse, Dosen, Klopapier, Katzenfutter, Joghurt, Bananen und Wurst hat schon so manchen gedankenlosen Platzverschwender zum Zusammenschieben seiner Ware beflügelt. Psychoterror, denken sie? Doch das ist ja erst der Anfang!
Die wahren Abgründe tun sich auf, sobald man die Wurzel allen Übels (auch des Fließbandneids) betrachtet: die Ungeduld.
Eine Studie unter 9 bolivianischen Minenarbeitern hat ergeben: 10 von 10 Menschen in deutschen Supermarktschlangen sind krankhaft ungeduldig.
Nun hat ein sehr weiser Mensch einmal gesagt: „Es gibt einige Orte, an denen ich mich wirklich entspannen kann, und das sind Orte, an denen ich warten muss. Im Stau, an der Ampel oder auch in Warteschlangen. Das sind Situationen, an denen ich ja eh nichts ändern kann, also warte ich einfach und entspanne.“
Dieser weise Mann sitzt offenbar dem Irrglauben auf, man hätte keinerlei Einfluss darauf, wie lange man an der Kasse wartet. Aber Selbstverständlich gibt es diverse äußerst effektive Mittelchen, um die Schlange zu bezwingen!

Erstens und mit Abstand am erfolgversprechendsten: Lauern sie darauf, dass eine neue Kasse aufmacht! Sobald das geschieht, rammeln sie auf die jungfräuliche Kasse zu, wie ein Spermium auf die Eizelle. Es kann schließlich nur einen geben!

Zweitens, und nicht zu verachten: Dicht auffahren! Das hilft ja schließlich schon im Straßenverkehr bei so gut wie jedem Problem. Tritt ihr Vordermann ein paar Zentimeter Richtung Kasse (oder lehnt den Oberkörper leicht nach vorne), rücken sie SOFORT auf. Lassen sie keine Lücken und somit den Eindruck entstehen, es handele sich hier um eine Larifari-Schlange. – Wenn der Vordermann das Häkchen vom Einkaufswagen (an dem man seine Tragetaschen aufhängen soll) zwischen den Pobacken spürt, dann steigen ihre Chancen auf verkürzte Wartezeit rasant. Wer so penetriert wird, wird sich fortan garantiert sputen.

Doch auch wer keinen Einkaufswagen zur Hand hat, sondern nur ein Körbchen mit sich führt, der braucht nicht verzagen. Das dichte Auflaufen kann oftmals sogar noch hilfreicher sein, als dicht aufzufahren – vorausgesetzt man stinkt wie ein Wiedehopf! Wer seine Einkäufe zu regelmäßigen, wiederkehrenden Zeiten erledigt, sollte dies in seine Planungen mit einbauen. Zum Beispiel: Eilen sie direkt nach dem Sport in den Supermarkt (kurz die Socken an den Schläfen reiben)! Für auflaufende Kettenraucher mit Mundfäule legt man aber natürlich auch gerne einen Zahn zu. Asoziale Alkis haben allerdings die Nase in dieser Hinsicht uneinholbar weit vorn. Sie dürfen sogar ganz nach vorne durchlaufen – und werden in zwei von drei Fällen nicht zurückgepfiffen. Wenn jedoch ein stinkender Säufer an ihnen vorbeizieht, der einen Tchibo-Epilierer, Babynahrung und Brokkoli kauft, sollten sie überprüfen, ob es sich hier nicht evtl. um eine(n) Trittbrettfahrer(in) handelt.

Wessen Umfeld es nicht zulässt, allzustark zu müffeln (z.B. Frauen), der muss eben schubsen. Natürlich nicht zu offensichtlich, sondern so wie Luca Toni im Strafraum. Wenn sich der Geschubste umdreht, sollten sie jedoch auf keinen Fall mit den Schultern zucken, die Augen weit aufreißen und ihrem Opfer unschuldig die leeren Handflächen entgegenhalten. Tun sie einfach so, als wären sie in eins der an der Kasse ausliegenden Kochheftchen vertieft, wie z.B. „Auf Zack mit Hack“.

Sollte all das nicht zum gewünschten Ergebnis (10 Sekunden früher zu Hause) führen, dann bleiben oft nur hilflose Gesten der Verzweiflung. Dazu gehört natürlich auch das vorwurfsvolle Anstarren von Leuten, die Beträge unter 5 Euro mit der EC-Karte bezahlen – dem modernen Äquivalent zum nach Pfennigen kramenden Großmütterchen.

Aber bei allen Beschleunigungsbemühungen, bedenken sie bitte immer: Es kann jederzeit vorkommen, dass ein Kunde eine unbeschriftete Silikonmuffinform an die Kasse trägt und die Kassiererin mal eben für drei Minuten zwischen den Regalen verschwindet. Dann sollten sie vielleicht wirklich mal Fünfe gerade sein lassen, damit aufhören, sich an ihrem Vordermann zu reiben und einfach mal GANZ IN RUHE ein paar leckere Rezeptideen mit Hack studieren.